Man sieht ein vierblättriges Kleeblatt

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Hauptsache Nebensache Gesund

22.11.2024

In meinem Beruf spreche ich oft mit Menschen über die großen und kleinen Herausforderungen des Lebens. Dabei höre ich immer wieder den Satz: „Ganz schön krasse Situation gerade – aber Hauptsache, wir sind gesund.“ Doch inzwischen frage ich mich, ob das wirklich so stimmt.

Na klar, Gesundheit ist wichtig – ich bemühe mich ja selbst, mich gesund zu ernähren (zumindest meistens), sportlich aktiv zu bleiben und auf die Signale meines Körpers und meiner Seele zu achten.

Aber je mehr ich mit Menschen zu tun habe, die mit chronischen Krankheiten leben, die alt und gebrechlich sind, oder je mehr ich meine eigenen Bandscheiben spüre, desto mehr erkenne ich: Gesundheit ist ein Privileg. Ein Zustand, der vieles erleichtert, ja, aber eben nicht alles. Gesundheit ist eine schöne Nebensache, nicht die Hauptsache im Leben.

Im Leben und im Sterben geht es um mehr. Es geht darum, geliebt zu werden und andere zu lieben. Es geht darum, Teil von Gottes Welt zu sein und aktiv daran teilzunehmen. Sich hier einzubringen und sich von Gott und seinen Menschen berühren zu lassen. Natürlich fällt mir das leichter, wenn ich mich gesund fühle. Wenn ich Migräne habe, bin ich auch nicht gerade in der Stimmung für ein Grillfest. Aber ich möchte nicht, dass die Teilhabe am Leben nur den Gesunden vorbehalten ist.

Ich wünsche mir, dass auch die Müden und Beladenen, die Gestressten und Kranken genauso Teil des verrückten Chaos unseres Lebens sein können wie die Fitnessinfluencer, Lifecoaches oder der Typ, der auf dem Feldweg regelmäßig an mir vorbeijoggt. Doch solche Orte, an denen Teilhabe mehr ist als nur ein frommer Wunsch, sind nicht leicht zu finden.

In manchen Vereinen, Kirchengemeinden, Familien, Kneipen, Online-Communities oder Fußballstadien gibt es sie. Manchmal. Aber es erfordert viel Aufmerksamkeit, Kraft, Liebe und Geduld, solche Orte zu schaffen, an denen nicht nur die Gesunden willkommen sind.

Erst dann wird Gesundheit zu dem, was sie wirklich sein sollte: eine Nebensache.

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Adrian Schleifenbaum
Autor:
Adrian Schleifenbaum ist Pfarrer in Gießen. Dort ist er für eine evangelische Kita und actionreiche Familiengottesdienste zuständig.
In seiner Freizeit hebt er gerne (zugegeben: leichte) Gewichte.
www.evangelisch-giessen-mitte.de

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