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von Yvonne Antoni – 23.09.2024
Gefühlsausbrüche, Schweißgeruch, unaufgeräumte Zimmer, zugeknallte Türen – Hilfe, wir haben ein Pubertier! Was machen wir nun?
Aus Eltern- und Lehrersicht sind Pubertierende oft anstrengende Mitmenschen. Die Kids verstehen sich und die Welt nicht mehr, werden launisch, sind oft gereizt oder ziehen sich komplett zurück. Das alles sorgt für allerlei Zündstoff in ihrem Umfeld.
Eine Voraussetzung, dass wir als Familie gut durch diese Zeit kommen, ist, dass wir unsere Kinder verstehen – dafür ist es wichtig zu wissen, was sich im Gehirn und im Körper verändert, um auch die emotionalen Schwankungen zu verstehen.
Großbaustelle Gehirn
In den letzten Jahren hat man herausgefunden, dass nicht nur die Hormone die Veränderungen in der Pubertät bewirken. Denn auch das Gehirn befindet sich in einer großen Umbauphase. Es ist noch unfertig und kann deshalb auf die ganzen hormonellen Veränderungen nicht richtig reagieren. Vereinfacht ausgedrückt wird es gerade vom Kinder- zum Erwachsenen-Gehirn. Und das klappt nicht reibungslos. So ist beispielsweise die Impulskontrolle noch nicht fertig entwickelt.
Das „limbische System“, das Emotionen, Verhalten, Motivation, Langzeitgedächtnis steuert, verändert sich als erstes. Die anderen Gehirn-Regionen folgen später. Die Kids können also nicht nur ihre Gefühle nicht richtig kontrollieren, sondern haben auch Konzentrationsprobleme und ein größeres Schlafbedürfnis. Bei vielen Kindern verschlechtern sich in dieser Phase auch die schulischen Leistungen.
Wann beginnt eigentlich die Pubertät?
Nicht das Gehirn, sondern auch der Körper verändert sich. Bei Mädchen steigt der Östrogenspiegel zwischen 8 und 14 Jahren an, bei Jungen der Testosteronspiegel zwischen 9 und 15 Jahren. In dieser Zeit entwickeln sich auch die sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale. Die Brüste wachsen, die Haare sprießen.
Mädchen bekommen ihre erste Periode im Durchschnitt mit 12 Jahren, und Jungs kommen in diesem Alter in den Stimmbruch. Dass die Periode kommt, ist kein Grund, gleich zur Frauenärztin zu gehen. Erst wenn man sich aufgrund von Beschwerden Sorgen macht, ist ein Besuch ratsam. Manche Kinderarzt- als auch Frauenarzt-Praxen bieten übrigens spezielle Mädchensprechstunden an.
Und wohin gehen eigentlich Jungs? Gibt es einen Männerarzt? Der Urologe Christian Ratz aus Groß-Gerau ist Pionier auf diesem Gebiet, denn er versucht mit „Jungensprechstunden“ auch junge Patienten in seine Praxis zu locken. Hier können sie Fragen stellen, die sie nicht dem Kinderarzt stellen wollen und lernen Nützliches zur Selbstvorsorge. In diesen Sprechstunden klären die Ärzte auch über die sowohl für Mädchen als auch Jungs so wichtige Schutzimpfung gegen HPV auf.
Aufgrund der hormonellen Veränderungen kommt es häufig zu Akne und anderen Hautproblemen, die für viele Jugendliche belastend für das schon angeknackste Selbstwertgefühl sind.
Wertschätzung statt genervt sein
In ihrem Buch „Girl on Fire“ plädiert die Wiesbadener Ärztin Sheila de Liz dafür, pubertierende Teenager nicht als blanker „Horror“ wahrzunehmen. Ihrer Meinung nach haben sie nicht unsere genervten Gefühle und mangelnde Wertschätzung verdient, sondern im Gegenteil unseren Respekt.
Denn wir Eltern dürfen nicht vergessen, dass sie in einer Ausnahmesituation sind, die sie sich nicht ausgesucht haben, die einfach über sie hereingebrochen ist. Sie stecken zwischen Kindsein und Erwachsensein.
Pubertierende machen in wenigen Jahren immense Entwicklungsschritte durch. Und diese Steps sind mit vielen Fragen verbunden: „Wann komme ich endlich in den Stimmbruch?“, „Meine Freundinnen haben schon längst Brüste, ich aber noch nicht“, oder „Ist es normal, dass ich so viel blute?“. Zudem vergleichen sie sich untereinander, was zu noch mehr Unsicherheiten und Ängsten führt. Social Media-Plattformen wie Instagram und TikTok verstärken dies alles noch.
Auch wenn es uns schwerfällt, sollten wir das Türenknallen nicht überbewerten, sondern die Gefühlsausbrüche als Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit sehen. In dieser Zeit benötigen sie die Bindung zu uns mehr denn je.
Oft treffen in dieser Phase Mütter am Anfang der Wechseljahre und Teens aufeinander, die sich beide im hormonellen Ausnahmezustand befinden, was weiteres Konfliktpotenzial birgt. Und Mütter beschäftigen sich auch wieder mit ihrem eigenen Frausein und ihrer Pubertät. Im Vergleich zu unserer Jugend hat sich glücklicherweise auf diesem Gebiet einiges getan. Die Forschung ist weiter, es gibt mehr Aufklärung und auch mehr „Hilfsmittel“ wie Perioden-Unterwäsche, die den Alltag der Mädchen erleichtern.
Von zugeknallten Türen und bauchfreien Tops
Einmal im Monat habe ich einen Stammtisch mit Freundinnen, von denen sich die meisten aus der Krabbelgruppen-Zeit ihrer Kinder kennen. Mittlerweile haben fast alle Kinder im Pubertätsalter. Bei unserem letzten Treffen habe ich sie gefragt, wie sie mit Konflikten umgehen, welche Erfahrungen und Tipps sie haben.
Einig waren sich alle darin, dass man durch manche Phasen einfach durchmuss. Jenny meinte, dass man sich am besten mit der Situation auseinandersetzt – auch mit dem Prozess, der gerade im Gehirn stattfindet. Sie gibt den Tipp, sich an die eigene Pubertät zu erinnern und sich so besser in sein Kind hineinzufühlen.
Mein Kind will bauchfrei oder im Schlabberlook zur Schule? Es möchte künstliche Fingernägel oder gefärbte Haare? Wie damit umgehen? Caro wägt dabei ab, welchen Kampf sie jetzt wirklich führen muss, oder ob sie es einfach mal laufen lässt, da es eh nur eine – hoffentlich kurze – Phase ist.
Mein Kind findet die Dusche nicht mehr und müffelt? Jenny legt ins Bad eine Packung (Einmal-)Waschlappen mit dem Hinweis, dass Waschen eine Alternative zum Duschen ist. Auch finden es alle wichtig, offen über körperliche Veränderungen zu sprechen, ohne dass es peinlich wird.
Maja hat die Erfahrung gemacht, dass es ihren Kids guttut, wenn sie die „Müllhalde“ ist, bei der sie alles abladen können. Sie rät dazu, keine ungefragten Tipps geben, sondern sich selbst rauszunehmen und in einem ruhigen Moment nachfragen, ob sie einen Ratschlag brauchen. Man sollte versuchen, ihr Verhalten oder Aussehen nicht zu kommentieren, auch wenn es einem auf der Zunge liegt.
Bloß keine ungefragten Ratschläge geben
Also keine Vorträge halten, sondern sein Kind fragen: Was brauchst du von mir? Wie kann ich dir helfen? Ihm zeigen, dass man sich für es interessiert und bloß keine fertigen Lösungen präsentieren.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Tochter gar nicht in Worte fassen kann, warum sie traurig oder wütend ist. „Ich weiß ja auch nicht…“, kommt dann oft. Bei uns hilft es dann zum Beispiel, wenn ich ihr eine Rückenmassage gebe. Wir genießen die Nähe und sie kann sich dabei entspannen.
Meine Kollegin Irina, deren Kinder noch im Kleinkindalter sind, hatte folgende Gedanken zum Thema: „Als ich ein Teenager war, hätte ich mir gewünscht, die komplette Breite meiner Gefühle zeigen zu dürfen. Also nur gute Laune zu erwarten, ist schwierig. Ich glaube als Elternteil muss man es auch aushalten können, dass Teenager sehr viel Trauer und Wut empfinden. Kleinen Kindern gesteht man das noch zu, aber bei älteren heißt es ja oft: ‚Ach stell dich nicht so an, du bist schon groß‘…“
Und Kollegin Melissa, die noch nah an der eigenen Pubertät ist, meint: „Mir wäre es wichtig gewesen, mich zurückziehen zu können, meinen Freiraum zu haben und vor allem die Möglichkeit zu bekommen, zu mir selbst zu finden. Zu lernen oder zu erkennen, wer ich eigentlich bin und was ich will. Dazu hätte gehört, mich auszuprobieren: die Klamotten tragen, auf die ich Lust hatte, Haare bunt färben, kurz schneiden, mich schminken, wie ich wollte, um zu erkennen, wo mein Platz in allem ist.“
Christiane hat bereits zwei ihrer drei Kinder durch die Pubertät begleitet: „Man muss sie lieben, umarmen und Halt geben. Man sollte sich mit Sachen wie ‚Hab ich dir doch gleich gesagt‘ zurückhalten und statt darüber zu schimpfen, dass und wie es zu den Scherben kam, lieber beim Aufräumen helfen. Wenn der Teenager wutschnaubend wegläuft und die Tür knallt, im selben Moment sich selbst und seine Gefühle und die eigene Wut über das ‚unerhörte‘ Verhalten zurücknehmen und nach einer Zeit der Besinnung das ruhige Gespräch suchen. Man sollte den Teenager nicht zwingen über alles zu reden und sich selbst erinnern, was man seinen Eltern früher vorenthalten hat.“
Susanne fasst treffend zusammen: „Eine zugeworfene Tür oder laute Worte sind nicht das Ende der Familienharmonie, sondern können auch einfach mal ein Ventil zum Dampf-Ablassen sein. Prinzipiell gilt: Ein vorbildhaftes Verhalten der Erwachsenen und Gespräche auf Augenhöhe helfen grundsätzlich.“
Hilfe, wir wissen nicht mehr weiter
Und was ist, wenn gar nichts mehr geht? Der Erziehungsexperte Jesper Juul ist davon überzeugt, dass es fast keine „unerreichbaren“ Jugendlichen gibt. Wenn die Konflikte jedoch so groß sind und man als Familie gar nicht mehr weiter weiß, sollte man unterstützende Hilfe in Anspruch nehmen. Und man sollte seine Ratlosigkeit auch nicht verbergen, sondern offen damit umgehen. Unterstützung findet man bei Familienberatungsstellen, Psychologen, Familientherapeuten, Coaches oder auch spezielle Angebote für Jugendliche.
Weitere Quellen, Lese- und Hörtipps:
Podcast „Meno an mich“ von Brigitte mit Sheila de Liz zum Thema Pubertät
Podcast/Instagram: eltern.ohne.filter: Elternleben wie es wirklich ist. Und wie man es (über-) leben kann.
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