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29.09.2021
Boom-Märkte nähren verhaltensökonomische Fehler und blenden Risiken aus. Deshalb eine kleine Anleitung zur Selbstüberlistung.
Um es vorweg zu sagen: Zu Einzelaktien habe ich keine Meinung und keine Expertise. Wenn ich also über die „Volksaktie“ schreibe, dann nur aus rein verhaltensökonomischer Sicht – und das juckt mir dann schon in den Fingern. Denn dieser Tage stellte das DIW in einer äußerst interessanten Studie fest, dass die „Volksaktie“ bis heute noch nachwirkt. Konkret: „60 % der Haushalte, die die Ereignisse um die Volksaktie miterlebt haben, investieren auch 20 Jahre später nicht mehr in Aktien“, heißt es da. Das ist mindestens genauso traurig wie jene Anleger, die mich auch heute noch fragen, ob sie denn aus dieser Aktie aussteigen sollen – oder auf den Einstandswert warten.
Wenn ich dann von der aktuell neuen Aktienbegeisterung lese, beschleichen mich gemischte Gefühle. Zum einen sind Millionen neuer Aktieninvestoren ein großer Grund zur Freude. Zum anderen: Was machen die neuen Aktionäre, wenn es an den Märkten mal wieder nach unten geht? Denn gerade in Aufwärtsphasen sind viele Verhaltensanomalien zu beobachten. Da wäre die „Das haben wir doch kommen sehen“-Haltung, die uns aus Vergangenheits-Performance vermeintliche zukünftige Entwicklungen ablesen lässt. Dazu kommt die zunehmende Risikofreude. Der Erfolg ernährt nicht unbedingt den Erfolg, aber blendet Risiken aus. Nicht zu vergessen: Kontrollillusion und Selbstüberschätzung. „Ich weiß, wie es geht. Ich kann das.“ Schließlich der klassische Truthahn-Effekt, der Glaube an die Einbahnstraße: Ein Truthahn prognostiziert, dass er jeden Tag aufs Neue gefüttert wird – Thanksgiving kommt in seiner Erfahrungswelt nicht vor.
Wie also Anlagefehler vermeiden, wenn es in den Fingern kribbelt?
Hier acht Punkte zur Selbstüberlistung:
1. „Gedenke, du bist nur ein Mensch.“ – Demut ist der Anfang der Selbsterkenntnis. Niemand kontrolliert die Kapitalmärkte. Gute Performance ist harte Arbeit – oder hartes Arbeiten lassen seiner Fondsmanager.
2. Je größer der Bildschirm, desto besser. Aus der Forschung ist bekannt, das mit zunehmender Größe der Bildschirme überlegter gehandelt wird, als würde man nur auf sein Smartphone starren um dann auf den Kauf-/Verkaufsknopf zu drücken. Noch dazu, wenn der Trade ganz billig und die Tendenz zu Gamefication unübersehbar ist.
3. Auf die Marktkapitalisierung achten. Je geringer die Marktkapitalisierung, desto schneller können Aktien beispielsweise über Anlegerportale in die Höhe getrieben werden. Wobei gilt: „Die Letzten beißen die Hunde.“ Denn heiße Luft ist noch schneller wieder draußen als drin.
4. Nicht „framen“. Keinen Rahmen um die gewünschten Nachrichten ziehen. Einen advocutos diaboli hinzuziehen, der Mut zum Widerspruch hat.
5. Nichts überstürzen. Laufe langsamer, wenn alles vermeintlich schnell gehen muss, ist auch bei der Kapitalanlage ein guter Rat. Zeit fördert die Analyse, das Nachdenken.
6. Pferde wechseln, wenn ein Trade nicht aufgegangen ist. Das ist auch die Lehre der Volksaktie. Aussitzen kann lange dauern und weh tun. Von ihrem tiefsten Punkt am 14.3.2003 aus hat sich die Volksaktie seither etwas mehr als vervierfacht, Dividenden einbezogen. Wer hingegen auf den DAX umgesattelt hat, hat mehr als das Sechsfache aus seinem Geld gemacht.
7. Diversifizieren! Das ist und bleibt die einzige, wirklich kostenlose Möglichkeit, Risiken zu minimieren, ohne auf Ertragschancen zu verzichten.
8. Und immer beachten: Der nächste Absturz kommt bestimmt, und Ihr Anlagehorizont ist noch lang. Deshalb: Der langfristige Kapitalaufbau, die Struktur der Anlage sind wichtiger als der schnelle Euro. Und gut beraten haben Sie vermutlich auch länger Freude daran.
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Autor:
Dr. Hans-Jörg Naumer
Der promovierte Volkswirt leitet Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors
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